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Wandertag 1-5

04.05.2023 - 08.05.2023


Es sind erst wenige Tage vergangen, seit dem ich losmarschiert bin, erst wenige Wochen seit dem ich meine Heimat verlassen habe und trotzdem fühlt es sich so an, als wäre es schon sehr lange her.


Ich dachte, ich würde meine Heimat vermissen, ich habe mich aber an mein neues Leben gewöhnen können.


Ich konnte endlich aus dem System ausbrechen, dass mir so sehr geschadet hat. Ich habe meine Fesseln gelöst, meine Ketten gesprengt und bin aus dem Gefängnis ausgebrochen, dass mich jahrelang umgab.


Ich war nun ein freier Mann geworden, der machen konnte, was immer er wollte. Es war schon immer mein Traum gewesen, die weite Welt mit meinen eigenen Augen zu sehen, mit meinen eigenen Ohren zu hören, mit meiner eigenen Nase zu riechen, mit meinem eigenen Mund zu schmecken und mit meinen eigenen Händen zu spüren.


Am ersten Tag begab ich mich mit dem Bus an das Nordkapp und lief los.


Nach weniger als einer Stunde begegnete ich einer Herde wilder Rentiere. Ich folgte der Strasse in Richtung Süden bevor ich mich mit meinen Sommerschuhen, durch Schnee und Eis nach Knivskjellodden, dem wirklich nördlichsten Punkt Europas kämpfte. Als ich diesen erreichte, realisierte ich erst richtig, dass es nun endlich losgehen würde. Meine Schuhe waren durchnässt, ein eisiger Wind peitschte mir ins Gesicht, die Wellen schlugen an die Felsen und verursachten einen ohrenbetäubendes Geräusch. Ich spürte ein Gefühl von grenzenloser Freiheit. Ich pausierte eine Weile, marschierte zurück und lief ohne weitere Pause an's Tagesziel Skarsvåg, das nördlichste Fischerdorf der Welt. Dort schlug ich mein Zelt direkt am Hafen auf und legte mich hinein. Trotz einem anstrengenden ersten Tag konnte ich kaum schlafen, da es im Polarkreis zu dieser Zeit den ganzen Tag nie dunkel wurde. Mein weisses Zelt war dabei keine Hilfe. Es war ein Problem, an dass ich mich gewöhnen musste, da ich mich in den kommenden Tagen immer wieder damit konfrontiert sah.


Am nächsten Morgen befreite ich das Zelt vom frisch gefallenen Schnee und kehrte in's Dorf zurück, um die Möglichkeit zu nutzen, ein paar Tassen Kaffee zu trinken. Da ich liebenswürdige Menschen kennenlernte, sprach ich stundenlang mit diesen und brach dann erst zur Mittagszeit auf. Ich hatte mir einen denkbar schlechten Zeitpunkt ausgesucht. Nach wenigen Minuten fing es an wie wild zu schneien.

Dabei konnte ich erneut Rentiere und ausserdem einen Schneehasen beobachten. Wildtierbegegnungen waren für mich schon immer etwas Besonderes und so erfüllten mich auch diese mit Kraft. Ich besuchte das nahegelegene Kirkeporten, was so viel wie Kirchentür bedeutete und ein riesiges Loch im Felsen darstellte. Von da an ging es weiter, ohne Unterbruch marschierte ich weiter, bis ich die Südseite der Insel erreichte. Ich sah mich mit den Wetterbedingungen des hohen Nordens konfrontiert, diese hätten ohnehin keine Pause zugelassen und ich genoss es, diese Weite in widrigen Bedingungen zu durchstreifen.


Als die Sonne bereits wieder hoch am Himmel stand, machte ich mich am nächsten Tag wieder auf den Weg. Bald daraufhin verliess ich die Insel Magerøya durch den Nordkapptunnel. Es war ein völlig neues und beeindruckendes Gefühl einen Tunnel 200 Meter unter Meer zu durchqueren. In diesem war ich mehr als eine Stunde unterwegs, bevor ich wieder Tageslicht erblickte und mich die Sonne auf der anderen Seite angekommen, begrüsste. Ich bemerkte wie die schroffen Küsten von Seeigeln und Königskrabbenüberresten gesäumt waren. Dieser Anblick war gewöhnungsbedürftig, aber würde mir immer wieder auffallen. Immer wieder sah ich Gänse- Möwen- und Hasenkadaver, die offensichtlich den Seeadlern zum Opfer fielen. Auch Überreste von Rentiere traf ich an und wusste, dass hier Wölfe ihr Unwesen trieben. Als ich weiter der Küste folgte, sah ich ausserdem einen riesigen Knochen, eine Rippe eines Wales, die das Meer an den steinigen Strand getragen hatte. Ich war von der Grösse überwältigt. Ich lief noch ein wenig weiter, bevor ich meinen Rucksack deponierte und meine Wasservorräte in einem Loch eines fast zugefroren Sees auffüllte. An Wasser sollte es mir hier nie mangeln, Norwegen alleine besitzt ca. 450'000 grosse und kleine Seen. Eine kaum vorstellbare Anzahl für einen Mann der aus der kleinen Schweiz stammte. Dort baute ich dann auch mein Zelt auf, kochte mir mein wohlverdientes Abendessen und legte mich zu Bett.


Am nächsten Morgen wachte ich durch das Gekreische eines Seeadlers auf. Ich trat aus dem Zelt und knickte fast um, da mein Fuss höllisch schmerzte. Ich wusste, dass es so vorerst nicht weitergehen würde, liess mich zurück nach Honningsvåg auf Magerøya fahren und besuchte einen Arzt. Dieser verschrieb mir Medikamente und gab mir einen Verband.

Ich entschloss mich dazu mich am Nachmittag wieder in den Bus zu setzen und mich wieder an den Punkt zu bringen, an dem ich aufgehört hatte zu laufen. Glücklicherweise erwies sich der Busfahrer als unkompliziert und liess mich genau wo ich es wollte, mitten im Nirgendwo aussteigen. Es war später Nachmittag und ich wusste, dass es ein langer Tag werden würde. Meine Medikamente wirkten nur teilweise und ich kämpfte mich unter Schmerzen, durch Wind und Regen voran, bis ich Abends um Elf mein Ziel erreichte. Ich schlug mein Zelt auf und schlief sehr schnell ein.


Als ich wieder aufwachte, war mein Fuss geschwollen, wie es noch nie der Fall war. Ich nahm meine Medikamente, kochte mir eine Tasse Kaffee und ging weiter. Ohne Rücksicht auf Verluste schreitete ich Schritt für Schritt unter Schmerzen voran. Es war zu einer Höllenqual geworden. Glücklicherweise konnte ich eine Frau kontaktieren, die ich zuvor in Skarsvåg kennenlernte. Sie war so hilfsbereit und brachte mir etwas Essen und Medikamente und verlangte dafür keine Gegenleistung, eine Heldin dieses Tages. Ich verschlang alles was sie mir mitbrachte und mit der neugewonnen Motivation machte ich mich wieder auf den Weg. Mit dem Wissen, dass es immernoch mehrere Stunden bis zum Ziel dauern würde, versuchte ich klar zu denken und den Schmerz hinunterzuschlucken. Nach einiger Zeit, die sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlte erreichte ich dann endlich Olderfjord.

Dort drängte ich mich durch die Türe der Rezeption eines Campingplatzes auf dem ich bei meiner Hinreise eine Nacht verbrachte, bevor ich weiter auf Honningsvåg fuhr. Ich war trotz genügend Wasser völlig dehydriert und konnte kaum klar denken. Ich hatte kein Geld mehr auf meiner Kreditkarte, das Bargeld war mir auf Grund des Arztbesuchs ebenfalls ausgegangen. Ich traf aber auf einen wirklich herzlichen Mexikaner, mit dem ich mich eine Weile unterhielt und der mir die Übernachtungsmöglichkeit zur Hälfte des eigentlichen Preises offerierte und mir Lebensmittel und Schmerzmittel zur Verfügung stellte. Ich war zutiefst dankbar und wusste, dass es Zeit war, endlich auf meinen Körper zu hören und eine Pause einzulegen.


So übernachtete ich und nahm mir am nächsten Tag die Zeit, diesen Beitrag zu schreiben.


Es war schon so vieles passiert und ich hätte noch so viel mehr zu erzählen, aber ich hoffe wirklich, ich konnte euch die wichtigsten Ereignisse etwas näher bringen.


Es ist wichtig die richtige Einstellung zu haben, da man viel mehr im Stande ist zu leisten, als man je für möglich halten würde.


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Ich bin dankbar für alles!




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